Vollzug des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)
Vorläufige Ausgangsbeschränkung
anlässlich der Corona-Pandemie
Bekanntmachung
des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege
vom 20.03.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122–98
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlässt auf der Grund-lage des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit § 65 Satz 2 Nr. 2 der Zuständigkeitsverordnung (ZustV) folgende
Allgemeinverfügung
1. Jeder wird angehalten, die physischen und sozialen Kontakte zu anderen Men-schen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nö-tiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich ist ein Mindestabstand zwi-schen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.
2. Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art. Ausgenommen ist die Ab-gabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen.
3. Untersagt wird der Besuch von
a) Krankenhäusern sowie Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, in de-nen eine den Krankenhäusern vergleichbare medizinische Versorgung er-folgt (Einrichtungen nach § 23 Abs. 3 Nr. 1 und 3 IfSG); ausgenommen hier-von sind Geburts- und Kinderstationen für engste Angehörige und Palliativ-stationen und Hospize,
b) vollstationären Einrichtungen der Pflege gem. § 71 Abs. 2 des Elften Bu-ches Sozialgesetzbuch (SGB XI),
c) Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), in denen Leistungen der Eingliederungshilfe über Tag und Nacht erbracht werden,
d) ambulant betreuten Wohngemeinschaften nach Art. 2 Abs. 3 Pflegewohn-qualitätsgesetz (PfleWoqG) zum Zwecke der außerklinischen Intensiv-pflege (IntensivpflegeWGs), in denen ambulante Pflegedienste gemäß § 23 Abs. 6a IfSG Dienstleistungen erbringen und
e) Altenheimen und Seniorenresidenzen.
4. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.
5. Triftige Gründe sind insbesondere:
a) die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,
b) die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen
(z. B. Arztbesuch, medizinische Behandlungen; Blutspenden
sind ausdrücklich erlaubt) sowie der Besuch bei Angehörigen helfender
Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist (z. B. Psycho- und
Physiotherapeuten),
c) Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (z. B. Lebensmittelhandel,
Getränkemärkte, Tierbedarfshandel, Brief- und Versandhandel,
Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker,
Banken und Geldautomaten, Post, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Reinigungen
sowie die Abgabe von Briefwahlunterlagen). Nicht zur Deckung
des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen
wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben,
d) der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen
(außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des
Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich,
e) die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,
f) die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,
g) Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine
oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige
Gruppenbildung und
h) Handlungen zur Versorgung von Tieren.
6. Die Polizei ist angehalten, die Einhaltung der Ausgangsbeschränkung zu kontrollieren.
Im Falle einer Kontrolle sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen
glaubhaft zu machen.
7. Ein Verstoß gegen diese Allgemeinverfügung kann nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 des
Infektionsschutzgesetzes als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
8. Weiter gehende Anordnungen der örtlichen Gesundheitsbehörden bleiben unberührt.
9. Diese Allgemeinverfügung ist nach § 28 Abs. 3, § 16 Abs. 8 des Infektionsschutzgesetzes
sofort vollziehbar.
10. Diese Allgemeinverfügung tritt am 21.03.2020, 00:00 Uhr in Kraft und mit Ablauf
des 03.04.2020 außer Kraft. Die Ausgangsbeschränkungen enden damit am
03.04.2020, 24:00 Uhr.
Begründung
Das neuartige Coronavirus SARS-CoV‑2 stellt die gesamte Gesellschaft und das Gesundheitssystem
vor enorme Herausforderungen. Es besteht weltweit, deutschlandund
bayernweit eine sehr dynamische und ernstzunehmende Situation mit starker Zunahme
der Fallzahlen innerhalb weniger Tage. Die Weltgesundheitsorganisation hat
die Ausbreitung des Virus und der dadurch hervorgerufenen Erkrankung COVID-19
am 11. März 2020 als Pandemie eingestuft.
Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt
als hoch eingeschätzt. COVID-19 ist sehr infektiös. Besonders ältere Menschen
und solche mit vorbestehenden Grunderkrankungen sind von schweren Krankheitsverläufen
betroffen und können an der Krankheit sterben. Da derzeit weder eine
Impfung noch eine spezifische Therapie zur Verfügung stehen, müssen alle Maßnahmen
ergriffen werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verzögern. Ziel ist es,
durch eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens die Belastung für das Gesundheitswesen
insgesamt zu reduzieren, Belastungsspitzen zu vermeiden und die medizinische
Versorgung sicherzustellen. Die Staatsregierung hat dazu bereits zahlreiche
Maßnahmen eingeleitet.
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen,
soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer
Krankheiten erforderlich ist.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 IfSG kann die zuständige Behörde Personen verpflichten,
den Ort an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte
nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.
Zur Begründung im Einzelnen:
Zu 1.:
Die weitgehende Reduktion bzw. Beschränkung sozialer Kontakte im privaten und öffentlichen
Bereich trägt entscheidend dazu bei, die Übertragung des neuartigen
Coronavirus SARS-CoV‑2 in der Bevölkerung zu verringern. Diesem Zweck dienen
Ausgangsbeschränkungen. Indem die Ausbreitung verlangsamt wird, können die zu
erwartenden schweren Erkrankungsfälle von COVID-19 über einen längeren Zeitraum
verteilt und Versorgungsengpässe in den Krankenhäusern vermieden werden.
Zu 2.:
Zur Verhinderung einer weiteren schnellen Verbreitung des Coronavirus ist die Schließung
sämtlicher gastronomischen Betriebe mit Ausnahme der Abgabe von mitnahmefähigen
Speisen und Lieferdiensten geboten. Gastronomische Betriebe bergen aufgrund
des regelmäßig – auch bei Abstandhaltung zwischen den Gästen durch entsprechende
Vorkehrungen bei den Tischen – erfolgenden Austauschs von unverpackten
Getränken und Mahlzeiten zwischen Bedienung und Gästen ein erhöhtes Risiko der
Übertragung des Coronavirus. Zudem bilden sie als Stätten der Zusammenkunft zwischen
Menschen ein erhöhtes Risiko im Hinblick auf Ansteckungen durch stetig wechselnden
Publikumsverkehr. Da bisherige mildere Mittel, die in der Allgemeinverfügung
zu Veranstaltungsverboten und Betriebsuntersagungen des Bayerischen Staatsministeriums
für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministeriums für Familie,
Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az. 51-G8000-2020/122–67, geändert durch
Bekanntmachung vom 17.03.2020, Az. Z6a-G8000-2020/122–83, nicht zu einer Reduktion
des Infektionsgeschehens geführt haben, ist die Schließung gastronomischer
Betriebe als ultima ratio zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung geboten und
verhältnismäßig. Die Abgabe von mitnahmefähigen Speisen und der Weiterbetrieb von
Lieferdiensten bleiben aufrechterhalten. Dies ist insbesondere auch für Personen erforderlich,
die das Haus auch aus triftigen Gründen nicht verlassen können.
Zu 3.:
In den genannten Einrichtungen werden vielfach Personen betreut, die durch eine Infektion
mit dem neuen Erreger in besonders schwerer Weise gesundheitlich gefährdet
wären. Zum Schutz dieser besonders vulnerablen Personengruppen muss der Besuch
der Einrichtungen als ultima ratio vollständig untersagt werden, weil bereits angeordnete
weniger eingreifende Maßnahmen in Gestalt der Allgemeinverfügung zur Einschränkung
der Besuchsrechte für Krankenhäuser, Pflege- und Behinderteneinrichtungen
des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom
13.03.2020, Az. G51b-G8000-2020/122–56, geändert durch Bekanntmachung vom
17.03.2020, Az. GZ6a-G8000-2020/122–82 nicht zu einer Reduktion des Infektionsgeschehens
geführt hat. Da vorliegend lediglich der Besuch der Einrichtungen untersagt
wird, ist das Aufsuchen der Einrichtung zum Zweck des Behandeltwerdens nicht umfasst.
Neben der Vermeidung von Einträgen des Erregers wird durch das Besuchsverbot
auch die medizinische Versorgung unterstützt. Das Erkrankungsrisiko des betreuenden
und medizinischen Personals wird verringert. Dadurch tragen die Maßnahmen
für die erfassten medizinischen Einrichtungen auch zur Aufrechterhaltung der Versorgungskapazitäten
bei und sind daher auch zum Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit
unabdingbar.
Zu 4.–6.:
Aufgrund des massiven Anstiegs und des bislang weitgehend ungebremsten Verlaufs
der Neuinfektionen zeigt sich, dass die bisher getroffenen milderen Mittel, die in der
Allgemeinverfügung zu Veranstaltungsverboten und Betriebsuntersagungen des Bayerischen
Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und des Bayerischen Staatsministeriums
für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.03.2020, Az. 51-G8000-
2020/122–67, geändert durch Bekanntmachung vom 17.03.2020, Az. Z6a-G8000-
2020/122–83, nicht zu einer Reduktion des Infektionsgeschehens geführt haben. Darüber
hinaus sind nach wie vor auch größere Ansammlungen von Personen an öffentlichen
Plätzen zu beobachten. Entsprechend sind als ultima ratio Ausgangsbeschränkungen
zwingend geboten, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Es handelt
sich vorliegend nicht um eine Freiheitsentziehung, sondern lediglich um eine Einschränkung
der persönlichen Bewegungsfreiheit. Das Verlassen der Wohnung ist aus
Verhältnismäßigkeitsgründen bei Vorliegen triftiger Gründe gestattet, die im Einzelnen
in Nr. 6 aufgelistet sind. Das Vorliegen dieser Gründe ist bei Kontrollen durch die Polizei
glaubhaft zu machen.
Zu 7.:
Zuwiderhandlungen sind als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße bis zu 25.000
Euro bewehrt (§ 73 Abs. 1a Nr. 6 und Abs. 2 IfSG). Die Zuwiderhandlung gegen eine
vollziehbare Anordnung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG ist gemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG
strafbewehrt.
Zu 8.:
Weiter gehende Anordnungen der örtlichen Gesundheitsbehörden bleiben unberührt.
Zu 9.:
Die sofortige Vollziehbarkeit ergibt sich aus § 28 Abs. 3, § 16 Abs. 8 IfSG.
Zu 10.:
Das Inkrafttreten richtet sich nach Art. 41 Abs. 4 Satz 4 BayVwVfG.
gez.
Winfried Brechmann
Ministerialdirektor